Die Mitte rutscht ab: Rechts- und Linkspopulisten gewinnen Wahlen im Osten

Die Ampel-Parteien waren in der gesamten Fläche Sachsens und Thüringens nie dominierend, höchstens in einigen wenigen Großstädten. Allein die SPD mit dem beliebten Ministerpräsidenten Dietmar Woidke konnte sich in Brandenburg durchsetzen. Die Sozialdemokraten unter Woidke haben auch Stimmen von anderen Parteien bekommen, die einen Sieg der AfD unter allen Umständen verhindern wollten.

Die Mitte rutscht ab: Rechts- und Linkspopulisten gewinnen Wahlen im Osten

Es gibt zwei große Gewinner der Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg: die rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) und das linkspopulistische Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Es hat sich gezeigt, dass alle demokratischen Parteien der Mitte, die die Ampel-Koalition in Deutschland bilden – also SPD, FDP und Grüne – teils erheblich an Zustimmung verloren haben. Brandenburg bildet für die SPD, wo die Partei seit der Wiedervereinigung die Landesregierung stellt, eine Ausnahme. Die Quittung für die Fehlleistungen der sogenannten Fortschrittskoalition im Bund in den vergangenen Jahren müssen jetzt manche Landeverbände zahlen, die teils nicht mehr in den Landtagen vertreten sind. Beachtlich ist zudem, dass eine rechtsextreme Partei erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg zur stärksten politischen Kraft in einem Bundesland (Thüringen) geworden ist. 

Ampel-Koalition auch im Osten unbeliebt

Es gibt zahlreiche Gründe, warum die im Bund regierenden Ampel-Parteien in den ostdeutschen Landtagen an Zustimmung verloren haben. Das antizyklische Wahlverhalten, bei dem bei Landtagswahlen eher Parteien gewählt werden, die nicht an der Bundesregierung beteiligt sind, hat sich vor allem bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen gezeigt. Es ist deutlich erkennbar, dass die Unbeliebtheit der Ampel-Regierung in den neuen Bundesländern noch stärker ausgeprägt ist als in den alten. Die Unzufriedenheit der Deutschen mit der Bundesregierung zeigte sich auch in den Umfragen sehr deutlich. Und von einem „Amtsbonus“ bzw. „Kanzlerbonus-Effekt“ des sozialdemokratischen Regierungschefs Olaf Scholz konnte keine Rede sein. Ganz im Gegenteil, die massive Unbeliebtheit von Scholz hat der Kanzlerpartei und ihren Partnern im Osten keine Stimmengewinne beschert. Ein weiterer wichtiger Grund für die historische Niederlage der Ampel-Parteien im Osten ist, dass dort vor allem bundespolitische Themen die Hauptrolle gespielt haben. Die Menschen im Osten nannten mehrheitlich den Ukraine-Krieg, Stationierung von Raketen in Deutschland, die Kriminalität und Gewalt, die als stark und unkontrolliert empfundene Einwanderung sowie die steigende Inflation als Themen, die Ängste in ihnen hervorrufen. Das sind alles Punkte, auf die die Landesregierungen kaum oder keinen Einfluss nehmen können. Als dritten Hauptgrund für das miserable Abschneiden der als „Parteien des Fortschritts“ deklarierten SPD, Grünen und FDP bei den Landtagswahlen im Osten können parteihistorische Entwicklungen genannt werden. Die Ampel-Parteien waren in der gesamten Fläche Sachsens und Thüringens nie dominierend, höchstens in einigen wenigen Großstädten. Allein die SPD mit dem beliebten Ministerpräsidenten Dietmar Woidke konnte sich in Brandenburg durchsetzen. Die Sozialdemokraten unter Woidke haben auch Stimmen von anderen Parteien bekommen, die einen Sieg der AfD unter allen Umständen verhindern wollten. Somit hat Woidke auch Olaf Scholz das Amt gerettet. Denn bei einer Niederlage der SPD wäre die Luft für Bundeskanzler Scholz noch dünner geworden. Die CDU spekulierte gar auf vorgezogene Neuwahlen im Bund. Mit dem Sieg Woidkes wurde dies bis auf Weiteres abgewendet. 

Strukturelle Demokratiedefizite und populistisches Weltbild

Der nächste Punkt für das historisch schlechte Wahlergebnis für die Ampel-Parteien ist struktureller Natur. Im Osten, der zwischen 1945 und 1989 sozialistisch-kommunistisch geprägt war, gibt es immer noch Ressentiments gegenüber den (politischen) Eliten und das „Establishment“, wozu auch Medienverlage zählen. Die demokratische Kultur, wie wir sie im Westen kennen, ist in Teilen des Ostens seit knapp 35 Jahren noch immer nicht gänzlich angekommen. Hier stellt sich die Frage: Wirft der längst abgeschaffte sozialistische Stasi-Staat, der umfassend und totalitär war, noch immer seine Schatten voraus? Die Affinität von Teilen des Wahlvolks gegenüber populistischen, autoritären und extremistischen, um nicht zu sagen, totalitären Strukturen und Bewegungen, scheint in Teilen Ostdeutschlands noch immer ausgeprägt zu sein. Die Frage, ob die staatsautoritäre Erziehung der DDR von den Eltern an die Kinder und Enkel weitergegeben wurde, ist aktueller denn je. Knapp ein Drittel der Menschen in Ostdeutschland legen in Umfragen ein populistisches Weltbild an den Tag. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass neben der AfD das BSW zu den großen Gewinnern der Landtagswahlen in den drei Bundesländern gehören. Beide Parteien weisen ausgeprägte, populistische Züge auf. Eine dieser Parteien wird als „rechtspopulistisch“ und „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft. Allerdings ist das BSW noch zu neu, um fundiert beurteilt werden zu können. Dennoch gibt es Überschneidungen und Parallelen zwischen der AfD und BSW. Beiden Parteien wird vorgeworfen, eine unkritische und russlandfreundliche Politik zu betreiben. Die Zurückhaltung gegenüber der NATO und den USA gehört ebenso zu den Gemeinsamkeiten beider Parteien. Zudem gibt es Berührungspunkte in der teilweise nationalistischen Außen- und Sicherheitspolitik sowie der protektionistischen Wirtschaftspolitik. Auch in der Sozial- und Migrationspolitik treten an einigen Stellen Affinitäten in Augenschein, obwohl es hier auch markante Unterschiede gibt. Völkisch wie die AfD ist das BSW allerdings nicht. Es kann vielmehr als eine Art Nachfolgepartei der Linken gesehen werden. Gerade gegenüber den Grünen und der FDP, die als Stellvertreter der wohlhabenden Bildungseliten und reichen Unternehmer gesehen werden, herrscht im Osten Misstrauen. Die FDP ist in keinem der drei Landtagen vertreten. Die Grünen konnten allein in Sachsen die Fünf-Prozent-Hürde überspringen. Die im Osten traditionell starke Linkspartei gilt ebenso als politisch bankrott.

Deshalb gehören diese beiden Parteien zu den großen Verlierern der ostdeutschen Landtagswahlen. Auch hat sich die Hoffnung, dass die AfD und BSW sich „kannibalisieren“ würden, in Brandenburg, Thüringen und Sachsen nicht bewahrheitet. Ob dies bei den kommenden Bundestagswahlen auch so sein wird, lässt sich heute nicht klar abschätzen. Das BSW konnte der AfD keine großen Stimmen wegnehmen. Die große Herausforderung für die kommenden Jahre wird es sein, die Menschen, die jetzt zu den rechten und linken politischen Rändern abgewandert sind, wieder in die politische Mitte zurückzugewinnen.