Kapitulation in Afghanistan
Nach 20 Jahren der Besatzung haben die Koalitionstruppen Afghanistan sang- und klanglos verlassen. Die Menschen dort sind jetzt ihrem Schicksal und den Taliban ausgeliefert.
Nach etwa 20 Jahren Aufenthalt hatten die internationalen Truppen, bestehend aus den Einheiten der NATO- und US-Armee, Ende Juni, Anfang Juli ihren Einsatz in Afghanistan still und leise beendet. Zeitgleich mit dem überraschsenden Abzug überrannten die Taliban in ungewöhnlich schneller Zeit viele Stellungen der stark dezimierten, regulären afghanischen Armee und eroberten mit ihren Offensiven ein Bezirk nach dem anderen. In Berichten zur afghanischen Armee war schon lange von Personal- und Materialsorgen die Rede: Rekruten könnten die Reihen in der Truppe, die durch „Verletzungen, den Tod und das Desertieren von Soldaten ausgedünnt“ sei, nicht mehr füllen, so der Politikredakteur Rainer Hermann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Die Moral der Kämpfer sei eingebrochen „möglicherweise ist nur die Hälfte der Stellen in der Armee mit kampffähigen Soldaten besetzt“. Dass es sich bei den Taliban-Einheiten um motivierte und nicht zu unterschätzende Kämpfer handelt, haben zuvor auch schon die internationalen Truppen erfahren müssen: Allein die amerikanischen Streitkräfte verloren während ihrer Besatzungszeit mehr als 2.300 Soldaten. Die Bundeswehr hingegen musste 59 Opfer beklagen. Sind unsere Soldaten umsonst gefallen?
Das Versagen des Außenministers
Zudem ist das historische Versagen des Außenministers kaum zu übersehen: Heiko Maas (SPD) macht es sich zu leicht, wenn er den „Schwarzen Peter“ an den Auslandsgeheimdienst schiebt. Maas handelte viel zu zögerlich als er vom BND und der deutsche Botschaft bereits im Juni über die ausweglose Lage informiert wurde. Und: Da die Bundeswehr seit Anfang Juli aus Afghanistan abgezogen war, hatte das Außenministerium die Verantwortung. Dieser Verantwortung war der SPD-Politiker anscheinend nicht gewachsen gewesen. Er sollte, nein, er muss, zurücktreten. Auch wenn die Parteien im Wahlkampf sind.
Kapitulation und Verantwortung
Der Afghanistan-Einsatz war der bislang blutigste und teuerste Militäreinsatz in der Geschichte der NATO. Doch war er möglicherweise auch der sinnloseste Einsatz in ihrer Historie? Die Allianz muss eingestehen, dass sie die Afghanen im Stich gelassen hat. Wir sind darin gescheitert, den Afghanen Demokratie, Frauenemanzipation und Menschenrechte zu exportieren. Wir dachten, es sei simpel, den dortigen Menschen unsere politischen Maßstäbe, rechtlichen Normen und gesellschaftlichen Konzepte einfach überzustülpen. Die westliche Koalition ist gescheitert. 20 Jahre Einsatz, 20 Jahre Besatzung, 20 Jahre Krieg. Wofür? Die federführenden Staaten im besetzten Afghanistan, allen voran die Vereinigten Staaten, Großbritannien und die EU, dürfen sich nicht so einfach davonschleichen. Dies kommt einer Kapitulation und Bankrotterklärung gleich. Und diese Kapitulation ist nicht nur eine militärische, sondern auch eine moralische. Ein gesichtswahrender Rückzug sieht anders aus. Die Taliban haben Afghanistan wieder unter ihre Kontrolle gebracht. Und die Afghanen? Sie erleben gerade ein Déjà-vu und verlieren wohl das endgültige Vertrauen gegenüber allen westlichen Werten und Versprechungen. Gewiss: Die afghanische Bevölkerung braucht Hilfe. Wenn der Westen den Afghanen aber nicht vor Ort hilft, werden diese sich die Hilfe bald hier in Europa holen kommen. Daran besteht ebenfalls kein Zweifel.