Ursachen der Arbeitsmigration
Vor 60 Jahren immigrierten viele Türken in Folge des Anwerbeabkommens zwischen der Bundesrepublik und der Türkei nach Deutschland. Wie Max Frisch sagte, „wurden zwar nur Arbeitskräfte angefordert, es kamen aber Menschen“.
Es kamen Menschen mit eigenen Kulturen, Sozialstrukturen und Familien. Heute bilden diese Menschen die größte ethnische Minderheit in Deutschland. In ihrer Heimat werden sie noch oft als „almancı“ („Deutschländer“) oder „gurbetçi“ („Gastarbeiter“/„Auslandstürken“) bezeichnet. Dass gerade das Jahr 1961 für das deutsch-türkische Anwerbeabkommen gewählt wurde, war nicht ohne Grund.
Pull-Faktoren: Deutsche Motive für die Arbeitsmigration in die BRD
Ein Hauptmotiv für die Unterzeichnung des Dokuments war z.B., dass sich Deutschland in dieser Zeit in der Phase des „Wirtschaftswunders“ befand, in der die florierende Wirtschaft junge und gesunde Arbeitskräfte benötigte. Das Großkapital sowie die Industrie waren wegen der expandierenden Ökonomie und der damit verbundenen steigenden Nachfrage nach Industriearbeitern auf Hilfe von außen angewiesen. Darüber hinaus wurde 1961 die Berliner Mauer gebaut, wodurch der Übersiedlerstrom aus den östlichen Gebieten und der DDR sehr stark abnahm. Dieses Potential sollte nun von Menschen aus den Mittelmeer- und Balkanstaaten ersetzt werden. Auch spielte der Aufbau der Bundeswehr ab 1955 eine Rolle bei der Abnahme des männlichen Arbeitskräfteangebots in Deutschland. Daneben gab es auch noch andere Faktoren, die die Forderung vor allem der Großunternehmer nach ausländischen Arbeitskräften begünstigten: Die Unternehmen mussten durch die Verlängerung der Ausbildungszeiten länger als vorher auf den Eintritt ihrer Lehrlinge in das volle Erwerbsleben verzichten. Die Arbeitszeitverkürzung auf 45 Wochenarbeitsstunden in Deutschland eröffnete neue Ressourcen. Außerdem führte der Eintritt der geburtenschwachen Kriegsjahrgänge in das Erwerbsleben dazu, dass das inländische Arbeitskräfteangebot stetig abnahm. So betrug die Zahl der offenen Arbeitsstellen in Deutschland 500 000. Zudem hatte die hohe Nachfrage nach inländischen Arbeitskräften die Lohnkosten nach oben getrieben, was den Unternehmen Sorgen bereitete. Die Arbeitnehmer und deren Interessensvertreter in der Politik, insbesondere das Wirtschaftsministerium, zeigten sich offen für den „Import“ von Arbeitskräften aus strukturschwachen Regionen. Die Bundesregierung unterstützte nach anfänglichem Zögern dieses Vorhaben. Dies sind alles Faktoren und Indikatoren („pull Faktoren“),die nicht nur eine türkische Arbeitsmigration nach Deutschland den Weg bereiteten.
Viele der ersten Einwanderergeneration, wie auch mein 1957 geborener Vater Mehmet Baş, der 1972 mit 15 Jahren nach Deutschland kam, haben seit dem ersten Tag hier gearbeitet. Sie hatten keine Zeit, ihre Kindheit und Jugend zu leben. Und viele sind hier noch während ihres Arbeitslebens verstorben. So wie mein Vater am 3. März 2021, der sich auf der Arbeit kurz vor Feierabend für immer von uns verabschiedete. Dieser Text sei ihm gewidmet.