Es ist Wahlkampfzeit. Und in diesen Wochen muss nicht alles, was gesagt wird, eine Logik haben. Von einem Wahlkampffieber kann bis auf ein Thema keine Rede sein. Und das ist der Dauerbrenner, der sowohl bei Links- wie Rechtspopulisten am meisten zieht: Erdoğan und die Türkei.
Wahlkampf auf dem Rücken von Deutschtürken
Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) und sein Kollege, Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) echauffieren sich in einem Beitrag für ein bekanntes Nachrichtenmagazin über den türkischen Staatspräsidenten. Sie tun das gleiche, was eigentlich alle anderen sogenannten Spitzenpolitiker derzeit ebenso gerne machen: Wahlkampf auf dem Rücken von Deutschtürken und der Türkei. Gabriel und Maas fordern auf Spiegel-Online eine stärkere Kontrolle von muslimischen Religionsgemeinschaften und zivilgesellschaftlichen Vereinen, denen sie unterstellen, von der Türkei „unterhalten“ zu werden. Außerdem sehen sie in den Medien und TV-Sendern, die Deutschtürken konsumieren, eine Gefahr für die innere Sicherheit und die „demokratische Kultur“. Die „pluralen Medien“, von denen die Minister sprechen, scheinen in ihren Augen nur diejenigen zu sein, die Erdoğan- und Türkeibashing betreiben. Ähnlich wie die pluralen Zeitungen, Fernseh- und Talksendungen in Deutschland, die sich seit Monaten in nahezu gleichem Duktus gegen Erdoğan, die türkische Regierung oder deutsch-türkische Vereine empören.
Sippenhaft und Kriminalisierung der Deutschtürken
„In unserer demokratischen und pluralen Gesellschaft ist großer Platz für das politische Engagement von Menschen mit Migrationshintergrund”, schreiben die SPD-Politiker. Das ist sehr zu begrüßen. Aber warum verschweigen die Herren, dass allein die Sympathie zur türkischen Regierungspartei AKP oder zum Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan, dessen Bekanntheitsgrad offenbar größer als manche deutschen Politiker ist, oftmals ein Ausschlusskriterium für die Deutschtürken darstellt, sich politisch, gesellschaftlich oder ehrenamtlich zu engagieren? Allein schon Verständnis für Erdoğan wird nicht selten als Vaterlandsverrat an Deutschland angesehen. Deutschtürkische Zivilverbände und Moscheegemeinden werden kriminalisiert und in die Ecke der Illegalität gerückt, wenn sie auch nur Anteilnahme mit der Türkei erkennen lassen. Die Deutschtürken werden durch die unverantwortliche Ideologie von einigen populistischen Politikern und Redakteuren in Sippenhaft genommen. Dieses: „Entweder seid ihr für oder gegen uns“ erinnert stark an die Rhetorik von George W. Bush und andere Despoten aus der Geschichte. Manche würden das als Erpressung oder Einschüchterung bezeichnen. Andere, die noch weiter gehen, wiederum als psychologische Kriegsführung.
Justiz- und Außenminister disqualifizieren sich
Populistische Politik auf dem Rücken von Einwanderern, in diesem Falle von Deutschtürken zu betreiben, ist nicht nur arm, sondern auch schwach. Aus diesem Grund gehören die verleumderischen Vorwürfe und die Brechstangenmentalität des Chefdiplomaten Gabriel in den Papierkorb. Ein Diplomat handelt anders. Ein Diplomat grenzt Bürger und Minderheiten nicht aus. Gerade ein Diplomat drückt sich zivilisierter aus. Dass Leute, die noch vor einem Monat in zweisprachigen Zeitungsartikeln, zuerst auf Türkisch und dann auf Deutsch, schrieben: „Sie, die türkischstämmigen Menschen in Deutschland gehören zu uns – ob mit oder ohne deutschen Pass“, heute diese Menschen als illoyale Bürger und potentielle Kriminelle darstellen, handeln verantwortungslos gegenüber der Gesamtgesellschaft. Ihnen scheint der populistische Stimmfang an den extremen Rändern wichtiger zu sein als die gesellschaftliche Harmonie und der Frieden. Sind die Menschenrechte nicht universell? Sind Deutschtürken von diesen Rechten ausgenommen? Sollte das nicht eigentlich zum Grundlagewissen eines jeden Justizministers gehören?